MEIN „POKÉMON GO“-TAGEBUCH

pgo2Vielleicht sollte ich vorab sagen, dass ich nie zuvor etwas mit Pokémon zu tun hatte. Weder die Sammelkarten, die Spiele oder die Serie waren in irgendeiner Form von Interesse für mich, demzufolge habe ich keinerlei Ahnung davon. Das wäre auch so geblieben, gäbe es halt jetzt nicht diese kostenlose (F2P) App „Pokémon Go“, in welcher man die Pokémon in freier Wildbahn via Augmented Reality fangen kann. Für technische Spielereien bin ich ja zu haben, und wirklich nur aus Interesse daran habe ich mir die App dann geladen. Und um Euch davon zu berichten. Natürlich.

Hier also mein Erfahrungsbericht.

13.07.2016
früher Abend

Nun gut, „Pokémon Go“ gibt es ab heute auch für Android. Oder, wie Luke Mockridge sagt: „Poké Mongo“. Hatte da schon einiges von gehört, unter anderem massive Datenschutzbedenken, und dennoch: Mal schnell das Spiel installiert und eingerichtet und schon steht mein Männchen da auf der Karte rum. Immerhin, unser Sofa wurde nicht nachgebildet. Jetzt darf ich mein erstes Pokémon fangen, und nun steht es da, auf unserem Wohnzimmertisch. Sieht sehr lustig aus, kann ich nicht anders sagen. Blöderweise rutscht es langsam immer weiter nach rechts, so dass ich mich mitdrehen muss – Tücken der Technik? Dann aber, ruckzuck das Viech gefangen (später werde ich es Angela nennen), und jetzt? Draußen ist es am regnen, also Feierabend.

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14.06.2016
Morgens

Gleich beim morgendlichen Kaffee läuft mir ein Evoli über den Weg, welches daraufhin die längste Zeit in Freiheit gelebt hat. Das possierliche Tierchen – welches ab sofort auf den Namen Abby hört – wohnt nun in meinem Telefon. Noch immer bin ich unsicher, was genau ich mit den Dingern machen soll, aber gut, das wird sich zeigen. Die AR-Funktion hatte ich hier schon abgestellt, ohne ist es einfacher im Handling.

Mittags
Mittagspause! Die Gelegenheit für den Möchtegern-Pokémon-Trainer auf die Jagd zu gehen. Eine halbe Stunde die Natur und ich. Immerhin komme ich an einigen Pokéstops vorbei, welche mir neue Bälle und auch Eier verschaffen. Eier! Schnell mal nachgeguckt was ich damit tun soll und flugs eins in den Brutkasten gepackt. Jetzt muss ich da 5 km mit rumlaufen. Na, hoffentlich geht’s auch im Auto während der Fahrt. Während der Jagd werde ich leicht paranoid: Jeder andere Passant der auf sein Handy starrt ist ein möglicher Trainer (und zugegeben: Es sind mehr als sonst auf meiner Strecke), jeder der mich mit meinem Handy sieht wird denken: Noch so ein Spinner, und dabei ist der doch viel zu alt für sowas. Nein, ich nicht! Ich checke nur meine SMS! Wirklich! Schnell weg…
Am Ende meiner Pause schleppe ich schon so manches Tierchen mit mir rum: Kurt, Egon, Rolf, Thorsten, Stefan, Werner, Konrad, Richard, Josef… und mein Akku ist unter 50%, na herzlichen Glückwunsch.

Screenshot_2016-07-15-10-46-01Abends
Während des Nachhauseweges zeigt sich, wieso alle warnen man solle auf seine Umgebung achten: Regelmäßig der Blick aufs Handy, während der Fahrt – das muss ich lassen. Dabei will ich ja nur wissen ob ich unterwegs an was Besonderem vorbeikomme, Arenen oder so. Die 5 Kilometer sind allerdings während der Fahrt nicht weniger geworden – muss dafür etwa die ganze Zeit der Bildschirm an sein? Registriert das Spiel das ich fahre und nicht gehe? Man weiß es nicht. Immerhin kann ich im Auto nebenbei den Akku laden. (Laut einer Quelle darf man übrigens nicht schneller als 8 km/h sein, wie ich später erfahren sollte)
Zu allem Überfluss bin ich erst Level 4 und die Arenen kann man erst ab Level 5 nutzen. Da passiert heute nichts mehr, Feierabend.

15.06.2016
Morgens

Verdammt, die Viecher lauern sogar auf der Toilette, dabei fühlte man sich da doch sonst immer unbeobachtet. Aber immerhin, gut zu wissen. Und dabei merke ich: Ich starte die App öfter als mir lieb ist. Nur mal eben gucken. Ist hier ein Pokémon? Keine Ahnung von der Materie, aber alle haben wollen: Gotta catch ‘em all. Verdammt. Suchtverhalten soll ja genetisch bedingt sein: Nicht meine Schuld, ich kann also nicht anders.

Nachmittags

KaterDer Wahnsinn in Tüten: Ich habe Lutz aufgewertet. Aus einer niedlichen kleinen Raupe wurde – nun ja, Lutz scheint sich verpuppt zu haben. Das macht ihn irgendwie rein äußerlich jetzt nicht sonderlich furchteinflößend. Und ich bin endlich Level 5! Nach meinem ersten Stop an einer Arena musste ich mir dann noch ein Team aussuchen: Nachdem Team Edward oder oder Team Jacob nicht zur Auswahl standen, habe ich das Team mit den roten Anziehsachen gewählt, da mein Männchen sowieso in einer roten Jacke über die Karte spaziert, passt also. Und mir ist wieder eingefallen, was ich an Multiplayer-Spielen eigentlich gar nicht so mag: Andere sind immer besser. Das Viech in der Arena (blau) hatte Werte von 173, mein bestes Tier hatte 75 Wettkampfpunkte (Hugo). Hab es entsprechend gar nicht erst versucht. Hugo muss scheinbar erst noch etwas trainieren. Blöd nur, dass alle anderen Spieler (vornehmlich wahrscheinlich Schulkinder oder Studenten) den ganzen Tag nichts anderes machen, so dass ich mir sowas wie die Arenakämpfe schon mal abschminken kann, die lachen ja über meine verweichlichten Haustiere mit ihren muskelbepackten Kampf-Pokémons.

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16.06.2016

SammlungViel ist geschehen: Am Morgen noch in zwei roten Arenen die auf meinem Weg lagen jeweils ein Pokémon zur Erhaltung des Friedens eingesetzt, kaum war ich wieder zu Hause, gehörte eine der beiden Arenen schon zu Team Gelb und mein armes Tierchen kam schwer verletzt wieder zurück zu mir. So geht es ja nun mal nicht! Team Gelb sucks! Für den Abend nahm ich mir vor mich zu rächen aber sieh an: Die Arena war in schönstes Blau gefärbt. Nichts desto trotz griff ich an, schließlich sollte das doch meine Homebase werden. Leider ohne Erfolg: Einige schwerst verletzte Pokémon später musste ich die Segel streichen. Und doch war der abendliche Spaziergang (!) nicht ohne Erfolg, schließlich schlossen sich sieben weitere Pokémon meiner Truppe an, zwei davon gehörten auch noch nicht zu meiner Sammlung. Immerhin: 19 verschiedene hab ich schon (bei recht geringem Aufwand). Und ich bin bei Level 7. Läuft.

17.07.2016
Seit gestern Nachmittag macht das alles keinen Spaß mehr…

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Entweder man kommt gar nicht erst ins Spiel oder es stürzt ab. Diesen Abend habe ich Rauch eingesetzt. Der Rauch soll 30 Minuten lang Pokémon anlocken, ohne dass man dazu groß rumlaufen muss. Man muss dazu sagen, dass Rauch auch relativ selten gratis zu bekommen ist und alternativ für echtes Geld zu kaufen ist. Innerhalb dieser 30 Minuten kamen auch ca 12 Stück – und zehn Mal ging nichts mehr. Bleibt es so, bleib ich nicht. Vielleicht sollte man nicht in 26 Ländern gleichzeitig launchen, wenn man dem Ansturm nicht gewachsen ist… – immerhin habe ich nicht noch zeitgleich ein Glücksei oder ein Lockmodul eingesetzt, dass wäre alles umsonst gewesen. Erster Frust macht sich breit.

18.07.2016
Morgens

Irgendwie immer noch Probleme bei der Anmeldung. Hmpf.

Mittags
Bis auf einen Absturz nach einem Fang lief alles. Ich warte auf den Tag dass mir das bei einem seltenen Pokémon passiert und ich die Entwickler noch mehr verfluche als so schon. Etwas skeptisch bin ich dennoch: In meiner Mittagspause kam ich an einer gelben Arena vorbei, vor der zwei Schlipsträger mit ihren Tablets standen. Ich wartete etwas abseits, sah mir das Schauspiel an und siehe: Die Arena wurde rot, die Herren entfernten sich. Und gerade als ich gucken wollte, ob ich auch noch ein Tierchen dort deponieren kann wurde die Arena wie von Zauberhand neutral – und so kam es, dass ich meine erste Arena besetzen konnte, wie auch immer das so passiert ist. Ich frage mich, wie lange ich die halten kann bzw: Wie lange es dauert, bis sie eventuell aufgrund eines Fehlers wieder neutral wird. Randnotiz: In dem Ort meiner Arbeitsstätte scheint es ein regelmäßig Evolis zu geben. Was gut ist, denn ich müsste noch einige zum Professor schicken wenn ich eins aufwerten will…

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19.07.2016
Mittags

Heute habe ich einmal alle Tipps beherzigt, welche es zum Thema Levelaufstieg zu beachten gibt: Möglichst viele Pokémon zum Weiterentwickeln aufsparen, einen Pokéstop aufsuchen in einer Gegend, in der man sonst noch nicht war (zwecks „neuer“ Pokémon) und an diesem Pokéstop Rauch anwenden (zum Anlocken), ein Lockmodul einsetzen (ebenfalls zum Anlocken), ein Glücks-Ei verwenden (zur Verdoppelung der Erfahrungspunkte) und möglichst viele Pokémon sowohl fangen als auch aufwerten. Sinn: Auf diese Weise sammelt man viele Pokémon, demzufolge auch viele Erfahrungspunkte, durch das Aufwerten bekommt man noch mal Erfahrungspunkte und bei neuen Pokémon ja sowieso. Das Glücks-Ei wiederum verdoppelt diese Punkte ganz nebenbei. Hat auch alles ganz wunderbar funktioniert: War ich vorher noch frisch auf Level 9, war ich nach den 30 Minuten auf Level 10. Nur das mit den „neuen“ Pokémon, dass hat natürlich nicht funktioniert. Scheiß Gegend hier.

Abends
Heute war ich mal in der großen Stadt! Wie aufregend! Und ich hatte sogar kurz Zeit in diese neue Pokémon-App reinzuschauen und was soll ich sagen, ich habe voll das gute Viech entdeckt! Sieht aus wie ein Geier und hatte recht wieviele Wettkampfpunkte. Der Profi weiß es längst – es war Ibitak. Und es kam, wie es kommen musste: Mitten in meinem Versuch das Tier zu fangen: „Fehler“. Und weg war es. Man kann manchmal gar nicht so viel essen, wie man kotzen könnte.

Mein Fazit:
Interessanterweise scheint es ja bei „Pokémon Go“ nichts zwischen Hype und Hass zu geben. Die einen feiern es, die anderen hassen es. Warum auch immer: Jedem das seine, und das Argument „Ich spiele das nicht denn ich bin schon erwachsen und vernünftig“ impliziert ja auch, dass derjenige schon nach Erde riecht und erste Kostenvoranschläge vom Bestatter bekommt. „Zu alt“ gibt es nicht. „Zu verbohrt“, „zu ignorant“, „zu intolerant“ – das sehr wohl. Wer es nicht mag – ok, aber lasst die anderen doch. Ich schreibe das nicht, um mich zu rechtfertigen (warum auch), sondern weil es mir in den letzten Tagen bei Twitter und Facebook schon sehr aufgefallen ist: „Pokémon Go“ ist der Untergang des Abendlandes, Opium fürs Volk. Und unsere Daten werden sowieso direkt an die amerikanischen Geheimdienste weitergeleitet.

Und was ist an dem Hype nun dran?
Eigentlich bietet „Pokémon Go“ nichts wirklich Brandneues – mit „Ingress“ gab es ja schon mal etwas recht ähnliches, und auf „Ingress“ baut die App auch auf. Der Witz liegt in der Kombination mit AR, nicht umsonst gibt es die vielen Bilder mit den Pokémon an alltäglichen Orten, denn genau DAS gab es vorher noch nicht. Und es ist die vordergründige Einfachheit des Spiels, die die Massen zu Beginn überzeugt hat. Aber der Hype wird abflachen, die Spreu wird sich vom Weizen trennen, denn je mehr Pokémon es werden, desto schwieriger wird es werden sie ihren Klassen zuzuordnen und die richtigen Tierchen für den virtuellen Hahnenkampf auszuwählen. Da werden dann vermutlich nur noch die „richtigen“ Fans dranbleiben. Denn so reizvoll es auch anfangs ist – der Sammelwahn alleine wird nicht dauerhaft halten.

Bei der App an sich hat man den Eindruck als hätte sich Niantec etwas übernommen: Nicht nur der komplette Serverausfall beim gleichzeitigen Launch in 26 Ländern, auch sonst läuft die App sehr instabil. Die meisten Abstürze hatte ich nach dem Fangen eines Pokémon – und dieser Fang wurde selbstversändlich nicht gespeichert. Ärgerlich bei einem seltenen Pokémon, noch ärgerlicher, wenn so etwas während eines Kampfes oder beim Einsatz von Rauch oder eines Lockmodules vorkommt. Und wenn es öfter vorkommt, ist das Spiel schon fast unspielbar: denn damit ist die Grundidee des Spiels kaputt, dann kann man’s auch lassen. Voraussetzung ist ja auch eine halbwegs akzeptable Internetverbindung. Bei „Ingress“ hatte ich noch O2, dessen Netz das Spiel damals für mich unspielbar gemacht hat, jetzt im Telekom-Netz geht es. Aber: Auf Dauer geht „Pokémon Go“ ganz schon in den Datenverbrauch. Ich mein – ich hab eine 500 MB Flat, das wird nicht auf Dauer reichen. Bisher verbrauche ich im Schnitt pro Tag ca. 25 MB für das Spiel, das wären 20 Tage. Und den restlichen Monat? Einfach so „spazieren gehen“…?

Nach meiner bisherigen Erfahrung ist es auch eher von Nachteil, auf dem Land zu wohnen. Eine recht überschaubare Anzahl von Arenen und Pokéstops sowie die immer gleichen wilden Pokémon (wenn überhaupt, wir haben hier auch Ecken komplett OHNE wilde Pokémon) lassen die Euphorie recht bald abklingen. Die einzigen „besonderen“ (bzw. „nicht ganz so häufig auftretenden“) Pokémon habe ich durch das Ausbrüten von Eiern bekommen – und ich lauf bestimmt nicht jeden Tag mehrere Kilometer nur um Eier auszubrüten wenn ich weiß, dass mich unterwegs sonst nicht viel erwartet was mich im Spiel weiterbringt.

Wie steht’s um den sozialen Faktor des Spiels?
Ich hab keine Ahnung. In meinem Umfeld bin ich der einzige der spielt und hier auf’m Dorf sieht man nur vereinzelt mal einen. Der größte mir bekannte Menschenauflauf waren die beiden Schlipsträger, siehe oben. Da ich mich noch zu keiner Nachtwanderung verabredet habe und auch nicht nur wegen des Spiels in die Stadt fahre, kann ich da nichts zu sagen.

Und spiel ich weiter?
Erst einmal schon, glaube ich. Vielleicht. Ganz bestimmt. Schwer zu sagen. Ländliche Gegend, kein Interesse meine komplette Freizeit dem Spiel und dem Aufleveln meiner Viecher zu widmen und somit kaum Chancen an den Arenen stehen als „Contra“-Argumente einem einzigen „Pro“-Argument entgegen: dem Vervollständigen des Pokédex. Ich weiß, die Motivation wird nicht lange anhalten. Aber bis dahin könnte ich ja noch weiterspielen…

kritik65_xb

3 Kommentare

  1. bullion · Juli 20, 2016

    Ein interessanter Bericht, der einen schönen Einblick in die Gedankenwelt eines „Pokémon Go“-Spielers liefert. Ich bekomme den Hype nur mit (auch hier im Büro) und hatte mich bisher noch nicht weiter damit beschäftigt. Werde ich auch nicht, aber es ist schön am Ball zu bleiben. Schon alleine meine Daten-„Flat“ mit 300 MB wäre ein No-Go und selbst der Speicher meines Mobilgeräts dürfte nicht reichen. Von der Zeit einmal ganz abgesehen. Aber auf jeden Fall ein Trend, der wichtig für die (mobile) Spieleindustrie ist, keine Frage.

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    • Xander · Juli 20, 2016

      Mit 300 MB wird es erst recht schwierig, keine Frage. Angeblich wird der Datenverbrauch geringer, wenn man sich die Karte vorher bei Google Maps runterlädt, so dass sie offline verwendet wird – das ist aber bei meinem oben angegebenen Verbrauch berücksichtigt, da ich die Karte schon offline nutze.
      „Gedankenwelt eines Pokémon Go“-Spielers – schön gesagt. Aber es ist ja so: Erst guckt man nur mal so aus Interesse rein, dann läuft die App (gefühlt) den ganzen Tag. Sämtliche Unfälle die deswegen passieren wundern mich überhaupt nicht mehr – man ist tatsächlich völlig fokussiert, auch wenn man wirklich nicht immer aufs Display gucken MUSS – man tut es.
      Mal schauen wie es weiter geht…

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    • bullion · Juli 20, 2016

      Dann pass mal schön auf dich auf! 😀

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