„Coming-of-Age-Filme: Unter dem Begriff Coming-of-Age-Film (engl. Coming of Age ‚Heranwachsen‘) versteht man Filme, deren jugendliche Helden von grundlegend menschlichen Fragen bewegt werden. Einerseits ist der erstmalige Kontakt mit solchen Fragen für Jugendliche etwas durchaus Alterstypisches, andererseits sind solche Motive jedoch ebenso für Erwachsene interessant, die selbst in diesem Alter mit entsprechenden Fragen konfrontiert waren. Durch die erstmalige Verarbeitung werden die Gefühle der jungen Menschen besonders intensiviert. (Wikipedia)“. Nun läuft sie also im Kino, die scheinbare Mutter aller Filme des Genres: „Boyhood“ ist nicht nur ein Film übers Erwachsenwerden – sondern der Hauptdarsteller wird während des Films erwachsen. 12 Jahre dauerten die Dreharbeiten, herausgekommen ist – objektiv betrachtet – ein geglücktes Experiment. Zum einen, was die Wahl der Darsteller angeht, zum anderen wirkt der Film wie aus einem Guss und nicht wie zeitlich versetzt gedrehtes Flickwerk.
Der Film begleitet den sechsjährigen Mason und seine Familie 12 Jahre lang. Seine Eltern geschieden, seine Mutter immer auf der Suche nach dem Besten für ihre Familie, die ältere Schwester eine Zicke. Es sind keine großen Tragödien die „Boyhood“ bereit hält, es ist eine Kindheit, wie sie jeden treffen könnte. In der sich vielleicht der ein oder andere wiederfindet. Und die insofern – leider – dann auch etwas unspektakulär ist. Das soll nicht heißen, dass Filme immer das große Drama beinhalten müssen, dass immer jemand sterben muss oder ähnliches, es soll nur heißen: Knappe drei Stunden nimmt sich der Film für seine Geschichte Zeit, eine Geschichte, die keinen wirklich roten Faden beinhaltet sondern das Leben filmt, mit all seinen Banalitäten und kleinen Abenteuern. Das ist aber in meinen Augen für die Laufzeit dann doch etwas wenig und auch etwas enttäuschend.
Wie eingangs geschrieben, ist das Experiment an sich ja geglückt. Durch die lange Drehzeit von 12 Jahren und den immer gleichen Schauspielern ist schon beinahe eine Langzeitstudie entstanden, die Wahl der Schauspieler war ein Glücksfall. Nicht nur, dass alle durchgezogen haben (was, wenn Mason nach 5-6 Jahren keine Lust mehr gehabt hätte?) – auch die Kinder können in jedem Lebensabschnitt schauspielerisch überzeugen. Weder dramaturgisch noch stilistisch gibt es Brüche, das zwischen den Szenen bis zu 12 Jahre Abstand liegen merkt man der technischen Umsetzung nicht an. Die Wandlung Masons vom Kind zum jungen Mann oder alleine schon die seiner „Eltern“ Patricia Arquette und Ethan Hawke ist faszinierend zu beobachten und von keiner Maske der Welt realistischer hinzubekommen – denn es ist ja schließlich mehr oder weniger die Realität, die man sieht, zumindest was die Alterung betrifft.
„Boyhood“ ist aufgrund seiner filmischen Einzigartigkeit also mit Sicherheit ein Must-See – allerdings sollte man sich darauf einstellen, storytechnisch nichts Einzigartiges zu sehen zu bekommen. Den einen oder anderen mag der Film vielleicht mehr berühren als mich, aber nun ja: drei Stunden einen eher ruhigen, fotografierenden jungen Mann an der Schwelle zum Erwachsenwerden zu beobachten hat mir – in diesem Fall – nicht wirklich gereicht. Und ohne seine außergewöhnliche Produktionsgeschichte würde der Film vielleicht etwas weniger Aufmerksamkeit bekommen, wer weiß. Schade also, meine Erwartungshaltung war schon sehr hoch, die Enttäuschung darum vielleicht größer als sonst.
Für den Film habe ich ja ganz große Hoffnungen. Ganz, ganz große. Coming-of-Age ist mein Genre und dann noch Linklater, dessen „Before…“-Trilogie ich liebe? Kann nur groß werden.
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Coming-of-Age mag ich ja auch, seine vorherigen Filme kenne ich nicht. Leider wollte „Boyhood“ bei mir nicht recht zünden – der Rest der Welt sieht das freilich anders.
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Ich freu mich auch sehr auf den Film. Muss nur schauen ob der überhaupt bei mir in der Provinz im Kino kommt.
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Bei Lorelai Linklater war wohl nach einigen Jahren der Punkt mal erreicht, dass sie nicht mehr vor die Kamera treten wollte und dann doch von ihrem Vater noch dazu bewegt werden konnte (vor allem deshalb, weil er ansonsten Masons Schwester im Film hätte töten müssen).
Ich kann so aus meiner verblassenden Erinnerung jedenfalls deinen großen Kritikpunkt verstehen: Der Film folgt keiner echten dramaturgischen Schule, Mason hat nicht mit solch überaus dramatischen Problemen zu kämpfen. Ich meine aber, dass das diesem Film außerordentlich gut tut. Anders als in den herkömmlichen CoA-Filmen wird in der Regel EIN zentrales Problem (oftmals Liebe oder Perspektivenlosigkeit) bis zum Äußersten getrieben. Das ganze wandelt häufig nahe an einer Karikatur der durchaus realen und ernsten Situation. Alleine durch die Länge und die Zeitspanne von BOYHOOD werden diese Probleme mannigfalter, geerdeter und lebensnaher. Probleme kommen und gehen und haben einen mal mehr mal minder wirkenden Einfluss auf das Heranwachsen.
BOYHOOD hat mir das Gefühl vermittelt, wie es war, aufzuwachsen, ohne dass ich mit vielen von Masons Problemen in Berührung gekommen wäre. Für mich war BOYHOOD eine emotionale Reise durch Masons, aber auch meine eigene Kindheit. Das hat zuvor noch kein Film bei mir auslösen können und erst recht nicht so lange nachwirken lassen.
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