Kurzkritik: 22 BULLETS (L’Immortel) [2010]

Ein Mann fährt mit seinem Sohn nach dem Besuch der Oma wieder nach Hause. Die Straßen sind belebt, die Sonne scheint, der Familienhund hechelt fröhlich in die Kamera. Schief singen beide die Oper mit, welche im Radio läuft. „Darf ich schon aussteigen?“ fragt der Sohn vor der Einfahrt ins Parkhaus, natürlich darf er, und so steigt er auch aus, schaut sich die Straßenkünstler mit ihrer dressierten Ziege an, während sein Vater einen Parkplatz sucht. Langsam fährt er seinen Wagen durch die Tiefgarage, stoppt den Motor, wartet mit dem Aussteigen aber so lange, bis die Oper im Autoradio zuende ist, die er weiterhin gutgelaunt mitsingt. Er steigt aus, BÄM! 22 Schüsse treffen ihn, er sackt zu Boden, der Hund wird mit einer Schrotlinte erwischt, der Junge steht vor dem Parkhaus und wartet auf seinen Vater. Und dann sind die ersten Minuten des Films vorüber.


Natürlich denkt jetzt niemand: „Wow, Jean Reno werden auch immer kürzere Rollen angeboten!“, denn der Film hieße ja nicht „L’Immortal“ (Der Unsterbliche), wenn sein Charakter sofort tot wäre. Denn er überlebt, Charly Matteï, ehemaliger Mafia-Pate Marseilles, und froh ist er über diese 22 Kugeln nicht. Doch einen Grund, auf einen blutigen Rachefeldzug zu gehen sieht er nicht, denn schließlich ist er raus aus dem Geschäft. Erst als einer seiner besten Freunde brutal gefoltert und ermordet wird, wendet er sich an seine Frau: Sie solle doch bitte mit den Kindern aufs Land ziehen. Papa ist böse. In Marseilles wird es jetzt ungemütlich und für den ein oder anderen gar lebensbedrohlich.

Ein stinknormaler Rachefilm wie so häufig in letzter Zeit, mag man jetzt denken, doch „22 Bullets“ wäre gerne sehr viel mehr. Platziert in der Welt der Mafiosi, ist der Rächer hier kein Familienvater oder sonst irgendein Gutmensch, der sein gutes Recht einfordert. Es ist niemand anderes als ein Mafiapate, niemand, mit dem man irgendwie mitfühlen sollte, denn schließlich ist er selber ein Verbrecher. Aber er wird von Jean Reno verkörpert, der schon Mitgefühl erzeugt, wenn man ihm nur tief genug in die Augen schaut. Zugleich strahlt er eine unglaubliche Präsenz aus. Wenn das Killerkommando, welches für das Attentat verantwortlich ist, den Geburtstag eines der ihren feiert, ist die Stimmung ausgelassen, fast albern, und man wähnt sich fast im falschen Film – und dann verstummen alle und schauen gebannt Richtung Tür. Dort steht Charly, und Charly strahlt eine Mischung aus tiefenentspannt und mordsmäßig sauer aus.. Diese Szene hat eine unglaublich Wirkung, nur weil Jean Reno da steht. Mal angenommen es wäre der kleine Tom Cruise der da steht – es würde nicht funktionieren.

Ein Mafiafilm also, der seinen Vorbildern nacheifert. Der Aufstieg des Paten in Rückblenden, seine empfindlich gestörtes Rentendasein in der Gegenwart. Es soll wohl epische Ausmaße annehmen, ein Werk über Moral (?), Freundschaft und Ehre innerhalb der Familie, und das nicht nur in der Mafiafamilie. Und das ist durchaus schade, denn „22 Bullets“ nimmt sich leider so viel vor, und nur darum kann er so wenig einhalten. Anstatt bedächtig Spannung aufzubauen, wird des stellenweise schon fast langweilig, was für diese Art Film natürlich tödlich ist. Aber das hält sich alles noch im Rahmen.

Ein relativ ungewöhnlicher Vertreter des Rachefilm-Genres, den man sich durchaus angucken kann, der aber leider nicht wirklich lange in Erinnerung bleiben wird. Das ist die Art Film, die als deutsche Erstausstrahlung auf RTL 2 oder so laufen wird, was nichts schlechtes heißen soll. Nur Jean Reno ist es zu verdanken, dass der Film überhaupt meine Aufmerksamkeit erlangt und während des Films behalten hat.

5 Kommentare

  1. bullion · März 2, 2012

    Ich stelle fest, dass deine Kurzkritiken deutlich länger sind als meine Standardkritiken. Der Film selbst interessiert mich nicht wirklich, obwohl Jean Reno durchaus cool ist.

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    • Xander · März 2, 2012

      Ach, das Kind muss doch n Namen haben. Ganz kurz nennt sich halt „Shortcuts“, bis +-600 Wörter sinds Kurzkritiken, ab +-600 Wörter sind es „normale“ Kritiken. Und du weißt doch: Es kommt eh nicht auf die Länge an.

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  2. donpozuelo · März 3, 2012

    Ja, so ähnlich sehe ich das auch. Ich hatte mich auf den FIlm sehr gefreut – vor allem wegen Jean Reno – aber so richtig funkt’s nicht.

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    • Xander · März 3, 2012

      Ich hatte ja, bis ich ihn im Fernsehen gesehen hatte, noch nichts davon gehört. Was rückblickend betrachtet jetzt aber auch egal ist.

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